Die Soziale Marktwirtschaft

Die konkrete politische Gestaltung der Sozialen Marktwirtschaft speist sich nicht nur aus den Ideen der Freiburger Schule. Ihre Gründerväter kamen aus verschiedenen Disziplinen und be-werteten insbesondere die Rolle des Sozialen unterschiedlich. Manche sahen die soziale Komponente mehr im Wettbewerb an sich, andere mehr in der Sozialgesetzgebung. Allen war je-doch gemeinsam, dass sie keinen Gegensatz zwischen sozialer Sicherung und marktwirtschaftlichem Wettbewerb sahen. Mit den Kräften des Wettbewerbs sollte Wohlstand geschaffen werden, der wiederum die Grundlage für einen „marktkonformen“ Sozialstaat ist. Sozialpolitik sollte nicht den Marktkräften entgegenwirken, sondern den Einzelnen, in Not geratenen, befähigen, seine Existenz wieder aus eigenen Kräften zu sichern. Sozialpolitik korrigiert nicht, sondern befähigt! Für Eucken ist die soziale Frage des 20. Jahrhunderts die Frage nach der Freiheit des Menschen.

 

So fordert er auch in der Sozialpolitik, dass die „punktuelle Behandlung der Probleme“ zurücktreten müsse. „Aber nicht, weil das Anliegen der Sozialpolitik (…) nebensächlich geworden wäre. Im Gegenteil. Weil es so vordringlich ist, muss es für das gesamte Denken über die Wirt-schaftsordnung mitbestimmend sein.“

 

Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit:

Bis heute stellt sich immer wieder die Frage, wieviel Staat und wieviel Markt nötig sind. Ab wann führen zu viele sozialpolitische Eingriffe dazu, die wirtschaftliche Aktivität zu hemmen? Seit Gründung der Bundesrepublik wurde das Sozialbudget des Staates stetig erhöht. Dabei sieht sich die Politik oftmals im Zielkonflikt zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit, zwischen wirtschaftlicher Effizienz und Gleichheit, ein Konflikt, der für eine funktionsfähige und demokratisch legitimierte Soziale Marktwirtschaft eine stete Herausforderung bleibt.

 

“Beim demografischen Wandel geht es um eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft, die alle Lebensbereiche betrifft. Wenn wir in Deutschland auf lange Sicht weniger, älter und vielfältiger werden, hat das Auswirkungen auf Junge wie Alte, auf die Menschen in den Städten wie auf dem Land, auf Arbeitnehmer wie Arbeitgeber.”

Angela Merkel August 2013 zu demographischer Wandel

 

Für die großen Lebensrisiken wie Unfälle, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und für die Altersvorsorge stellt der Staat Sozialversicherungen zur Verfügung. Insbesondere der demographische Wandel stellt diese Systeme vor große Herausforderungen. Während zu Beginn der Bundesrepublik noch deutlich mehr Arbeitende in die Rentenkasse einzahlten als es Rentner gab, hat sich das Verhältnis der Generationen mittlerweile verkehrt. Der Staat steht vor der Aufgabe, seine Sozialkassen nachhaltig zu gestalten, sodass die Lasten zwischen Beziehern und Empfängern gerecht verteilt werden und Finanzierungslücken vermieden werden, die nachkommende Generationen ausgleichen müssten.

In den vergangenen 70 Jahren hat die Soziale Marktwirtschaft die Demokratie in Deutschland stabilisiert, indem sie auf unterschiedliche soziale und ökonomische Herausforderungen Antworten geben konnte. Heute stellt uns der rasante Wandel durch Globalisierung und Digitalisierung vor völlig neue Herausforderungen.

 

Sozialpolitik mit dem Markt:

Der Schlüssel für einen gelingenden Strukturwandel liegt dabei im Zusammenspiel von Wirtschafts- und Sozialpolitik: Eine Sozialpolitik, die sich am Markt orientiert, kann die Lasten des Strukturwandels abfedern. Sie soll dem Einzelnen Freiraum und Chancen bieten und Möglichkeiten für ein eigenverantwortliches Leben eröffnen.

„Ich stelle mir eine aktivierende Sozialpolitik vor wie ein Sprungtuch, das Stürze abfedert, das denjenigen, die es brauchen, dazu verhilft, wieder aufzustehen und für sich selbst einzustehen ……. Aktivierende Sozialpolitik hat für mich aber noch eine weitere, unverzichtbare Dimension, die eng mit Chancengerechtigkeit verknüpft ist. Denn die Entmachtung Einzelner durch Wettbewerb mag eine notwendige Voraussetzung sein, den Vielen die Teilhabe zu ermöglichen, aber sie ist keine hinreichende. Denn sie ermächtigt die Vielen noch lange nicht. Auch wenn alle nach den gleichen Spielregeln spielen dürfen, kommt es doch darauf an, mit welcher Ausstattung man das Spielfeld betritt. Was würden wir sagen, wenn ein Mittelgewichtsboxer gegen einen aus der Schwergewichtsklasse antreten müsste, oder ein beinamputierter Läufer gegen einen mit zwei gesunden Beinen? Chancengerechtigkeit hat also Voraussetzungen, die außerhalb des Wettbewerbs liegen.“


Joachim Gauck Festrede Januar 2014 in Freiburg

Zahlen:
Das  Sozialbudget  in  der  Bundesrepublik Deutschland ist sukzessive gestiegen, von umgerechnet rund  30  Milliarden  Euro  im  Jahr  1960  auf  1,19 Billionen  Euro  im  Jahr  2020.  In  Relation zum  Bruttosozialprodukt ist die Sozialleistungsquote von gut 20 Prozent Anfang der 1960er Jahre auf nunmehr  35,7 Prozent  im  Jahr  2020  gestiegen.  Damit wird heute
über ein Drittel der in Deutschland geschaffenen  Wertschöpfung  vom  Staat  zu  sozialen Zwecken umverteilt.





Literatur zur Vertiefung

 

Seite 5.1  
Vom Zusammenbruch bis zur Währungsreform

Hans Tietmeyer: Soziale Marktwirtschaft in Freiburg – Entwicklungen und Erfahrungen, Frei-burger Diskussionspapiere zur
Ordnungsökonomik No. 10/4, Walter Eucken Institut Freiburg 2010.
Quelle

 

Seite 5.2  
Von der Theorie in die wirtschaftspolitische Praxis

Volker R. Berghahn: Ludwig Erhard, die Freiburger Schule und das ‚Amerikanische Jahrhun-dert‘, Freiburger Diskussions-
papiere zur Ordnungsökonomik No. 10/1, Walter Eucken Institut Freiburg 2010.
Quelle

 

Seite 5.3  
Katharina Sekareva: Franz Böhm gilt als Vater des deutschen Kartellrechts,

Wirtschaftswoche, 26. Juni 2008,
Quelle

 

Arnold Berndt und Nils Goldschmidt: Leonhard Miksch (1901-1950) – A Forgotten Member of the Freiburg School,
Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik No. 03/2, Wal-ter Eucken Institut, Freiburg, 2003.
Quelle (Veröffentlicht in: American Journal of Economics and Sociology, Vol. 64, 2005, S. 973-998.)

 

Patricia Commun: Erhards Bekehrung zum Ordoliberalismus: Die grundlegende Bedeutung deswirtschaftspolitischen Dis-
kurses in Umbruchszeiten,
Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik No. 04/4, Walter Eucken Institut, Freiburg, 2004.

Quelle

 

Nils Goldschmidt: Alfred Müller-Armack and Ludwig Erhard – Social Market Liberalism, Freiburger Diskussionspapiere zur
Ordnungsökonomik No. 04/11, Walter Eucken Institut, Freiburg, 2004
Quelle

 

Seite 5.4  
Internationale Zusammenarbeit und Einfuss der Ordoliberalen

Stefan Kolev, Nils Goldschmidt und Jan-Otmar Hesse: Walter Eucken’s Role in the Early His-tory of the Mont Pèlerin Society,
Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik No. 14/02, Walter Eucken Institut Freiburg 2014.
Quelle


Aufsatz von Dr. Uwe Dathe zu Walter Eucken und der Sozialen Marktwirtschaft

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